Praxis der Homöopathie

Die Anwendung der Homöopathie stützt sich auf ihre Perspektive auf Gesundheit und Krankheit. Ohne diese Grundlage könnte die Homöopathie nicht erfolgreich angewendet werden. Wie sieht die praktische Umsetzung dieser Betrachtungsweise konkret aus?

Da Symptome und Zeichen das Einzige sind, was von einer Regulationsstörung im Organismus wahrgenommen werden kann, beginnt in der Homöopathie jede Behandlung mit der detaillierten Erhebung aller individuellen Symptome und Zeichen des Patienten.

Der Organismus versucht stets sein Gleichgewicht zu bewahren, auch wenn eine Krankheit bereits entstanden ist. Diese Kompensationsversuche unterscheiden sich je nach Natur der vorherrschenden Regulationsstörung voneinander – das reflektiert sich in der Individualität der Krankheit.

Ein Hautausschlag der ausschliesslich die Gelenkbeugen befällt – auffallende Lokalisierung;
Das ausgeprägte Gefühl von Schwere der Eingeweide bei Menstruationsbeschwerden – ungewöhnliche Empfindung;
Asthma das sich bei trockenem Wetter nachlässt und bei feuchtem Wetter intensiviert – sonderlicher Umstand der Verschlimmerung bzw. Besserung.

Selbst wenn zwei Patienten dieselbe (schulmedizinische) Diagnose erhalten haben, wird sich ihre Krankheit in bestimmten Details voneinander unterscheiden.

Während die Migräne bei einer Patientin morgens um 5 Uhr am schlimmsten sind, der Schmerz sich vor allem über dem linken Auge festsetzt und sie das Gefühl hat, ihr Kopf würde in einer Schraubzwinge stecken, hat ein anderer Patient das Gefühl einen Nagel in die rechte Seite des Kopfes gestossen zu bekommen, was häufig nachts und immer bei Vollmond vorkommt.

Regulationsstörungen sind potenziell in der Lage, in jedem Bereich des Organismus (einschliesslich der Psyche) Beschwerden hervorzurufen. In der Tat leiden Menschen selten an einer Krankheit bei ansonsten vollständiger Gesundheit. Alle Beschwerden sind Hinweise auf die zugrundeliegende Regulationsstörung und ihre ganzheitliche Betrachtung deutet auf die Natur der Störung hin. Dazu gehört auch die lebenslange Neigung zu bestimmten Erkrankungen, sogenannte «Schwachpunkte».

Der Asthmatiker mit seinen seit der Jugend bestehenden Kopfschmerzen und Schlafstörungen, die Rheumatikerin mit ihrer trägen Verdauung und grossen Empfindlichkeit auf Geräusche oder das hyperaktive Kind mit Tobsuchtsanfällen und rezidivierenden Ekzemen – sie alle scheinen an unzusammenhängenden Beschwerden zu leiden und doch steckt jeweils nur eine Regulationsstörung dahinter.

Erst die in Tiefe (individuell) und Weite (ganzheitlich) ausgedehnte Fallaufnahme fördert das Bild und die Natur der im Inneren des Organismus herrschenden Regulationsstörung hervor.

Hier kommen die homöopathischen Arzneimittel in Spiel. Bei ihrer Verarbeitung verlieren die Ausgangsstoffe (vorwiegend pflanzliche und mineralische Substanzen) ihre biochemischen Effekte und erlangen im Gegenzug die spezifischen Wirkungen auf Regulationsstörungen im menschlichen Organismus.


Homöopathische Arzneimittel werden in einem besonderen Verfahren hergestellt und wirken direkt auf Regulationsstörungen.


Jedes homöopathische Arzneimittel besitzt ein sogenanntes Arzneimittelbild. Es beinhaltet alle Indikationen, in Form von Symptomen und Zeichen, die nötig sind, um es bei einer bestimmten Regulationsstörung einzusetzen.

Arzneimittelbilder sind sehr umfangreich und ähneln einander häufig. Daher ist eine genaue Fallaufnahme und Fallbearbeitung nötig, um sie korrekt zu differenzieren.

Wenn das Beschwerdebild eines Patienten dem Arzneimittelbild exakt entspricht, wird das Arzneimittel die Regulationsstörung neutralisieren und das innere Gleichgewicht des Organismus wiederherstellen. Daraufhin verschwinden alle Beschwerden, die auf dem Boden dieses Ungleichgewichts entstanden sind.

Ein Patient präsentiert sich mit rheumatoider Arthritis, besonders der Gelenke der rechten Körperseite, die nachmittags besonders schmerzhaft sind. Ferner neigt er zu Nierensteinen und -koliken, hat Verdauungsbeschwerden mit Blähungen die sich durch warme Nahrung und Getränke bessern. Dazu gesellen sich noch weitere Beschwerden.

Das Arzneimittelbild von «Lycopodium» – ein relativ häufig eingesetztes Arzneimittel – umfasst u.A. die folgenden Symptome und Zeichen: Rechtsseitigkeit der meisten Beschwerden; Verschlechterung der meisten Beschwerden von 16 bis 20 Uhr; Verbesserung der Magen-Darm-Beschwerden durch Wärme (äussere Anwendungen, Nahrung, Getränke); Magen-Darm-Beschwerden werden von Blähungen und Flatulenz begleitet; häufig indiziert bei Nierenbeschwerden im Allgemeinen und Nierensteinen im Speziellen.

Die genaue Analyse und Beurteilung der weiteren Symptome und Zeichen bei Patient sowie Arzneimittelbild führt schliesslich zur Verschreibung des passendsten Mittels.
Bemerkung: obwohl die Erfahrung wiederholt gezeigt hat, dass Lycopodium Fälle von rheumatoider Arthritis heilen kann, führt hier weder die Diagnose, noch die bei jedem an dieser Krankheit erkrankten Patienten vorhandenen Symptome und Zeichen zum passenden Mittel (überwärmte, schmerzhafte Gelenke etc.). Die Symptome und Zeichen die den individuellen Patienten von einem Anderen unterscheiden – der bevorzugte Befall der rechten Körperseite, die begleitenden Verdauungsbeschwerden usw. – führen in ihrer Individualität und Ganzheitlichkeit zum Heilmittel.


Durch die praktische Anwendung einer auf Gleichgewicht und Ungleichgewicht, Regulation und Dysregulation basierenden Betrachtungsweise von Krankheit und Gesundheit, kann die Homöopathie den Krankheitsprozess bei akuten als auch bei chronischen Erkrankungen stoppen und den menschlichen Organismus dadurch zu dauerhafter Gesundheit führen.